„Zukünftig wollen wir unsere Anliegen vermehrt auch in Brüssel adressieren“

News  //  Verband  // 
Bernhard_Ohnesorge_Foto_NEU.jpg

 

 

Dr. Bernhard Ohnesorge, seit September 2023 Vorstandsvorsitzender von SPECTARIS, zieht erste Bilanz

Am 12. September 2023 wurde Dr. Bernhard Ohnesorge, Geschäftsführer der Carl Zeiss Jena GmbH, auf der Mitgliederversammlung des Deutschen Industrieverbands SPECTARIS in Berlin nahezu einstimmig zum neuen Vorsitzenden gewählt. Im Interview zieht er eine erste Bilanz und gibt Einblicke in seine aktuelle Arbeit.

 

Herr Ohnesorge, was hat Sie überzeugt, das Amt des Vorstandsvorsitzenden von SPECTARIS zu übernehmen?

Die Branchen, die bei SPECTARIS organisiert sind, haben eine unglaubliche Bedeutung, um die aktuellen Herausforderungen unserer Gesellschaft zu gestalten: Die Medizintechnik, Augenoptik und die Analysen-, Bio- und Labortechnik bieten Lösungen für die Gesundheit des Menschen in einer alternden Gesellschaft. Die Photonik und Analysen-, Bio- und Labortechnik sind essentiell beim Thema Klima- und Umweltschutz. Und auch viele weitere der gesellschaftlichen Zukunftsfelder, wie automatisierte Produktion, Smart Farming oder autonome, umweltschonende Mobilität wären ohne SPECTARIS-Branchen nicht möglich.

Und dennoch wird häufig die Tragweite politischer Beschlüsse für unsere Hightech-Industrien nicht ausreichend bedacht. SPECTARIS spielt hier eine entscheidende Rolle, und ich möchte meinen Teil dazu beitragen, die Bedeutung unserer Industrien den politischen Entscheiderinnen und Entscheidern näher zu bringen.

Und ganz konkret macht es mir viel Freude, zusammen mit dem so kraftvoll besetzten Vorstandsteam und einem super Team in der Geschäftsstelle die Herausforderungen gemeinsam anzugehen.

 

Sie haben das Amt in turbulenten politischen Zeiten übernommen. Welche großen Aufgaben sehen Sie auf sich und den Verband zukommen?

Ja, die Herausforderungen für mittelständische Unternehmen sind eh schon enorm: der Innovationsdruck in internationalen Märkten ist unvermindert hoch; eine doppelte Transformation ist zu bewältigen: die Digitalisierung der Wertschöpfung und ganzer Geschäftsmodell sowie die nachhaltige Gestaltung der Wertketten; der Zugang zu Absatzmärkten sowie Rohstoffen und Vorprodukten wird durch die unterschiedlichen Krisen erschwert.

Bei all dem, werden nun noch die Rahmenbedingungen durch eine nationale und zunehmend übernationale Überregulierung unnötig erschwert. Es kommt zu Anforderungen, die kaum mehr zu durchdringen und bewältigen sind. Im Jahr 2022 stieg die In-Out-Quote, also das Verhältnis von neuen zu aufgehobenen EU-Rechtsakten, auf einen Rekordwert von 3,5 zu 1. Das hat den Erfüllungsaufwand der Wirtschaft in den vergangenen Jahren massiv in die Höhe getrieben.Nicht zuletzt deshalb ist das Resultat eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit unseres Industriestandortes: rückläufige Produktivitätsentwicklung, weniger Investitionen, rückläufige Weltpatentanteile, und eine rückläufige Anzahl an Unternehmensgründungen.

In diesen Zeiten ist es besonders wichtig, die Mission von SPECTARIS, die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft unserer Mitgliedsunternehmen zu stärken, in den Vordergrund zu stellen. Dafür wollen wir uns durch politische Arbeit für die Verbesserung der Rahmenbedingungen unserer Branchen einsetzen und den Mitgliedern noch zielgerichtetere Mehrwerte bei der Bewältigung all dieser Herausforderungen bieten.

 

Können Sie es konkreter machen, wofür Sie sich selbst in den ersten Monaten Ihres Vorsitzes besonders eingesetzt haben?

Ein aktuelles Beispiel ist die geplante Regulierung der Per-/Polyfluoralkystoffe (PFAS), die für unsere Branchen lebensbedrohlich werden kann. Die Arbeitsgruppe PFAS und die Geschäftsstelle machen hier einen fantastischen Job. Nun ist es uns jüngst gelungen, endlich auch in den Austausch mit Umweltministerin Steffi Lemke zu kommen, um für einen risikobasierten Ansatz zu plädieren: Manche PFAS sind so unbedenklich und biokompatibel, dass sie ein Leben lang als Teil einer Intraokularlinse im menschlichen Auge verbleiben können. Andererseits könnten die 18 als unbedenklich anerkannte Fluorpolymere auf einen Schlag 90 Prozent der Probleme der Hightech-Industrien auflösen. Daher müssen die 18 Fluorpolymere sofort vom Verfahren ausgenommen werden. Dieselbe Botschaft konnte ich auch der Präsidentin der europäischen Kommission Ursula von der Leyen bei ihrem jüngsten Besuch in Jena mitgeben.

Was die Dienstleistungen von SPECTARIS gegenüber den Mitgliedern betrifft, lag es mir sehr am Herzen, die jahrzehntelange gute Arbeit der Forschungsgemeinschaft Feinmechanik, Optik und Medizintechnik (F.O.M.) zur Forschungsförderung unserer Branchen auch zukünftig finanziell und personell abzusichern. Innovationskraft ist doch der Kern der Wettbewerbsfähigkeit unserer Branchen.

 

Sie hatten auf der Mitgliederversammlung einen Strategieprozess angekündigt. Lassen Sie uns daran teilhaben: Was ist seitdem passiert?

Seitdem ist viel passiert. Nach einer sehr guten Vorbereitung durch die Geschäftsstelle haben wir in zwei Vorstandssitzungen die strategischen Ziele und Initiativen erarbeitet, mit den Fachverbandsvorständen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle besprochen und die Strategie verabschiedet.

 

Was sind die wesentlichen Ergebnisse der neuen SPECTARIS-Strategie?

Die Leistung von SPECTARIS wird von den meisten Mitgliedern bereits als sehr gut bewertet. Dennoch haben wir uns die Frage gestellt, was unsere Mitgliedsunternehmen für ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft benötigen. Dabei haben wir vier Stoßrichtungen herausgearbeitet:

Zunächst wollen wir zukünftig unsere Anliegen nicht nur in Berlin, sondern vermehrt auch in Brüssel adressieren. Nur so können wir die für uns relevanten EU-Rechtsakte frühzeitig für unsere Branchen prüfen und mitgestalten. Hier möchte ich vor allem drei Kernbereiche nennen: Schon lange setzen wir uns dafür ein, dass die MDR-Prozesse vereinfacht und Verfahrensdauern gekürzt werden. Diese Arbeit werden wir intensivieren, um hier endlich tragbare Lösungen für die Medizintechnik zu finden. Auch bei der Nachhaltigkeit müssen wir uns verstärkt auf europäischer Ebene engagieren, damit Entscheidungen nicht zum Nachteil der Industrie getroffen werden. Gerade bei der Umwelt und Stoffpolitik ist der Dialog mit der Industrie essenziell, wie wir insbesondere am Beispiel PFAS sehen. Und wir müssen bei Rechtsakten zur Digitalisierung darauf achten, dass politische Entscheidungen getroffen werden, die die Unternehmen wettbewerbsfähiger und innovativer machen und nicht das Gegenteil passiert.

Aus der Mitgliedschaft kommt eine vermehrte Nachfrage nach Anwendungshilfen zu all den neuen Rechtsakten. Entsprechenden Angebote wollen wir vor allem für die Zukunftsthemen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Marktzugang bzw. Außenwirtschaft ausbauen.

Auch im Bereich Forschung und Entwicklung wollen wir uns stärker aufstellen. Zunächst gilt es, die F.O.M. zu stabilisieren und näher an SPECTARIS heranzuführen. In einem zweiten Schritt sollen weitere Angebote flankiert durch Lobbyarbeit zur Förderung der Innovationskraft unserer Branchen angegangen werden. Nicht zuletzt werden wir vermehrt Kooperationen mit anderen Verbänden anstreben, wenn es um die allgemeineren Rahmenbedingungen für High-Tech Industrien geht. Hier können wir unsere Anliegen gebündelt adressieren.  Es geht darum, das heute erreichte Maß an Regulierung in den kommenden fünf Jahren spürbar zu reduzieren. Wir setzen uns außerdem dafür ein, beim Umbau zu einer nachhaltigeren Wirtschaft die Grundlagen für erfolgreiches Wirtschaften zu erhalten und die Verfahren zur Ausfuhrkontrolle zu reduzieren.

Um das alles zu erreichen, werden wir unsere Public Affairs Arbeit ausbauen, um noch stärker auf die Schlüsselfunktion unserer Hightech-Industrien aufmerksam zu machen. Hinzu kommt eine systematische Mitgliederakquise, um den Ausbau unserer Aktivitäten auch finanzieren zu können.

 

Zum Abschluss: Wie blicken Sie auf die kommenden Jahre?

Eigentlich bin ich Optimist und so sehe ich Krisen und notwendige Transformationen als wirtschaftliche Chancen. Aber dafür müssen die Weichen anders gestellt werden: Wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft unserer deutschen und europäischen Industrie nicht wieder zum politischen Kompass machen, ist alle Umwelt- und Sozialpolitik vergebens. Um es in der Sprache der EU-Politik zu sagen: einen Green Deal ohne einen parallelen Industrial Deal sollte es nie wieder geben.

Mitgliedschaft Spectaris
Termine, Messen, Veranstaltungen Spectaris
Neuigkeiten bei Spectaris
Spectaris RSS